Alle Infos zu Praxisnetz, Arztnetz und Praxisverbund

12. November 2021

Inhaltsverzeichnis

Die Teilnahme an einem Praxisnetz wirkt sich in vielerlei Hinsicht positiv auf Arzt und Patient aus: der kollegiale Austausch wird intensiviert, das Leistungsangebot vergrößert sich, die Patientenversorgung verbessert sich uvm. Zu Bedenken ist allerdings, dass das Arztnetz erst von der jeweiligen KV anerkannt werden muss, bevor es finanziell gefördert werden kann. Diese Anerkennung ist an die Erfüllung bestimmter Anforderungen abhängig. Erfahren Sie hier mehr über das Thema Praxisverbund.

Das Praxisnetz ist eine kooperative Organisationsform unter Vertragsärzten und Psychotherapeuten.
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Was ist ein Praxisnetz?

Das Praxisnetz ist eine kooperative Organisationsform in einem begrenzten Versorgungsgebiet unter niedergelassenen Vertragsärzten verschiedener Fachrichtungen und Psychotherapeuten, die sich aufgrund der Ausweitung des Patientenstammes oder zur Verbesserung der interkollegialen Zusammenarbeit zusammengeschlossen haben. Die ärztliche Unabhängigkeit untereinander bleibt im Arztnetz jedoch stets gewahrt.


Genau genommen gibt es jedoch keine eindeutige Definition des Begriffes “Praxisnetz”, weil sie sich in ihrer Ausprägung erheblich voneinander unterscheiden können. Je nach Ausgestaltung kann es sich um einen losen Zusammenschluss selbstständig tätiger Vertragsärzte oder Psychotherapeuten handeln, über Einkaufsgemeinschaften und genossenschaftliche Zusammenschlüsse bis hin zu professionellen unternehmensähnlichen Organisationen. Das Praxisnetz wird synonym auch Arztnetz, Versorgungsnetz oder Praxisverbund genannt.

Diese regionalen Zusammenschlüssen können nicht nur von Hausärzten, Fachärzten oder Psychotherapeuten gegründet werden. Abhängig von der Schwerpunktlegung, können auch Krankenhäuser, Vorsorge-/Rehakliniken und andere Gesundheitsberufsangehörige einem Praxisnetz angehören.

Ziel eines Praxisnetz ist, die Zusammenarbeit zwischen Ärzten verbindlich und strukturiert zu stärken sowie die Patientenversorgung zu verbessern. Laut Ärztemonitor 2018 arbeitet etwa jeder dritte Vertragsarzt in einem Praxisnetz. Die Anzahl von Arztnetzen in Deutschland beziffert die KBV auf mehrere hundert.

Seit Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes im Jahr 2012 ist es möglich, ein Praxisnetz als solches offiziell anerkennen zu lassen. Mit Inkrafttreten des Versorgungsstärkungsgesetzes 2015 werden jene Praxisverbünde durch “gesonderte Vergütungsregelungen” gefördert. Bei der Vergütung profitieren anerkannte Praxisnetze von einem sogenannten Netzaufschlag. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet SGB V §87b. Der Netzaufschlag beim Honorarverteilungsmaßstab bei der KV-Bayern beträgt bspw. 125 € pro Quartal für Ärzte, die an einem anerkannten Praxisnetz teilnehmen.

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Anerkennung

Die finanzielle Förderfähigkeit eines Praxisnetzes setzt deren Anerkennung voraus. Die Anerkennung soll sicherstellen, dass das zu prüfende Arztnetz tatsächlich die wohnortnahe Patientenversorgung verbessern kann. Weiter wurden seitens der KBV (Kassenärztliche Bundesvereinigung) Rahmenvorgaben definiert, die erfüllt werden müssen, um als Praxisnetz anerkannt zu werden. Die regionale Ausgestaltung dieser Rahmenvorgaben wird durch die einzelnen KVen spezifiziert. Wenn also die Anerkennung eines Praxisverbunds bspw. in Nordrhein-Westfalen erfolgen soll, dann müssen die Richtlinien der KV-Nordrhein erfüllt werden. Zusätzlich muss ein Praxisnetz mind. 3 Jahre bestehen, bevor es finanziell gefördert werden kann.

Info: Hier finden Sie eine Auflistung aller Meldestellen für Praxisnetze bei den Kassenärztlichen Vereinigungen. Dort erhalten Sie konkrete Informationen rund zur Antragstellung und -abwicklung.

Nachfolgend lesen Sie die Rahmenvorgaben der KBV (Strukturanforderungen und Versorgungsziele), welche zur Anerkennung als Praxisnetz erfüllt werden müssen. Erst nach erfolgreicher Anerkennung gilt das Arztnetz als förderungswürdig. Neben harten Kriterien wie z. B. der Größe gibt es auch weiche Kriterien wie z. B. die Versorgungsziele, die etwas mehr Spielraum bieten, deren Zielerreichung aber dennoch der KV schlüssig vorgelegt werden müssen.

Strukturanforderungen

  • Größe
    • Mindestens 20 und höchstens 100 vertragsärztliche und psychotherapeutische Netzpraxen werden für die Anerkennung eines Praxisnetzes benötigt.
    • Jede Hauptbetriebsstättennummer (HBSNR) zählt als eine Netzpraxis. Das kann entweder eine Einzelpraxis, eine Praxisgemeinschaft, eine Berufsausübungsgemeinschaft oder ein MVZ sein.
    • Ein Praxisnetz soll die regionale Versorgungsstruktur verbessern, weswegen es nicht zu groß sein darf. Ebenso kann ein fachlicher Austausch bei einem zu großen Arztnetz nicht gewährleistet werden.
  • Rechtsform
    • Personengesellschaft, eingetragene Genossenschaft, eingetragener Verein oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
    • Die gewählte Rechtsform muss vor Antragstellung zur Anerkennung bereits 3 Jahre bestehen.
  • Gemeinsame Standards
    • Standards bzgl. Qualitätsmanagement, die Beteiligung an vereinbarten Maßnahmen zum Wissens- und Informationsmanagement sowie zur Unabhängigkeit gegenüber Dritten (z. B. Pharmaunternehmen) müssen gesetzt werden.
  • Zusammensetzung
    • Mind. 3 Fachgruppen müssen im Praxisnetz vertreten sein.
    • Hausärzte müssen in jedem Fall beteiligt sein.
  • Kooperationsvereinbarung
    • Es muss eine verbindliche Kooperationsvereinbarung nachgewiesen werden.
  • Gefestigte Managementstrukturen
    • Das Praxisnetz muss über eine Geschäftsstelle, einen Geschäftsführer und ärztlichen Leiter/Koordinator verfügen, um tragfähige Strukturen aufbauen zu können.
  • Versorgungsgebiet
    • Die Netzpraxen müssen sich in einem zusammenhängenden Gebiet befinden.

Das Praxisnetz muss dementsprechend über ein gemeinsames Management und eine Geschäftsstelle verfügen. Allerdings erfolgt die Arztpraxis-Abrechnung nicht über eine gemeinsame Betriebsstättennummer/KV-Abrechnungsnummer.

Versorgungsziele

  • Patientenzentrierung
    • Sowohl die medizinische Versorgung als auch die Abläufe und Strukturen in den Praxen müssen sich auf die Bedürfnisse der Patienten konzentrieren. Dies reicht von der Terminvergabe bis zum Überleitungsmanagement bei einer Krankenhausbehandlung.
  • Kooperative Berufsausübung
    • Praxisnetze werden hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit untereinander an ihrem Grad der Perfektion und Weiterentwicklung gemessen
  • Verbesserte Effizienz und Prozessoptimierung
    • Um effizient arbeiten zu können, können strukturierte Abläufe, klare Regeln und Potenzialanalysen hilfreich sein.

Anerkennungsstufen

Die Anerkennung eines Praxisnetzes kann für eine der drei folgenden Anerkennungsstufen beantragt werden:

  • Basis-Stufe
  • Stufe I
  • Stufe II

Während die Strukturanforderungen für jede Anerkennungsstufe gleich sind, so unterscheidet sich jedoch jede Stufe in den Anforderungen an die Versorgungsziele (Patientenzentrierung, kooperative Berufsausübung, verbesserte Effizienz und Prozessoptimierung). Während in der Basis-Stufe die Anforderungen am niedrigsten sind, sind sie in Stufe II am höchsten. Arztnetze können so je nach deren Entwicklungsstand die passende Stufe beantragen. Nachfolgend sehen Sie 3 Beispiele aus den jeweiligen Versorgungszielen und wie diese in jeder Stufe umgesetzt werden müssen:

Beispiel-Kriterien und deren geforderte Ausgestaltung in den Praxisnetz-Anerkennungsstufen Basis-Stufe, Stufe I und Stufe II.
Kriterium Basis-Stufe Stufe I Stufe II
Patientensicherheit Medikationscheck: Das Praxisnetz bietet Patienten mit Polymedikation einen Medikationscheck an, um mögliche Wechselwirkungen zwischen Wirkstoffen zu vermeiden.
Fehlermanagement:Außerdem existiert ein Fehlermanagement mit einem Berichtssystem und gegebenenfalls Checklisten undProzessroutinen zum Umgang mit Fehlern.
Medikationsplan: Ein netzintern abgestimmter Medikationsplan ergänzt den Medikationscheck und erhöht die Therapietreue des Patienten, indem er alle relevanten Informationen, zum Beispiel zur Dosierung und Einnahme, zusammenfasst. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Verdachtsfälle und Impfkomplikationen werden in dem Plan dokumentiert und innerhalb des Netzes diskutiert. Medikationsmanagement: Das Netz arbeitet mit Praxisverwaltungssystemen, die das Erstellen von Medikationsplänen, das Medikationsmanagement und Monitoringfunktionen unterstützen.
Gemeinsame Dokumentationsstandards Kein Nachweis Standards zur Patientendokumentation: Das Netz hat Standards zur Patientendokumentation implementiert (z.B. durch eine Verfahrensanweisung zur Dokumentation in ausgewählten Versorgungsbereichen). Elektronische Fallakte: Die Netzmitglieder nutzen eine elektronische Fallakte beziehungsweise eine gemeinsame fallbezogene Datenbasis.
Qualitätsmanagement Kein Nachweis Qualitätsmanagement eingeführt: Im Praxisnetz wurde ein Qualitätsmanagement (QM)eingeführt. Das Netz stimmt sich über QM-Grundsätze und QM-Instrumente ab. Es gibt einen QM-verantwortlichen Arzt und einen nichtärztlichen Mitarbeiter. Außerdem muss das Netz Qualitätsziele festlegen und kontinuierliche Verbesserungsmaßnahmen vorsehen. Qualitätsindikatoren & Weiterbildung: Das Praxisnetz nutzt Qualitätsindikatoren mit Zielgrößen, zum Beispiel zu Medikamentenallergien. Für Netzärzte und Praxismitarbeiter werden Weiterbildungsmaßnahmen angeboten. Bei der Versorgung besonders vulnerabler Patientengruppen werden Ziele festgelegt, zum Beispiel abgestimmte Verfahren für Hausbesuche. Das Netz erhebt außerdem Versorgungsdaten zu klinischen und anderen Indikatoren für den Netzbericht.

Hinweis: Praxisnetze sind nicht dazu verpflichtet, sich in die nächsthöhere Stufe weiterentwickeln zu müssen.

Vorteile und Nachteile

Die Zusammenarbeit in einem Praxisnetz verschafft nicht nur den daran teilnehmenden Ärzten Vorteile, sondern auch den Patienten. Während Sie als Arzt von einem engen fachlichen Austausch mit Kollegen profitieren, steigt durch diesen Wissenstransfer auch die Qualität der Patientenversorgung, die sich auch in einer höheren Patientenzufriedenheit äußert. Die Koordinierung der sektorübergreifenden Zusammenarbeit (mit Pflegeheimen oder Krankenhäusern) nach einheitlichen Qualitätsstandards wirkt sich ebenfalls positiv auf die Patientenversorgung aus.

Ein weiterer großer Vorteil ist, dass Sie als Arzt oder Psychotherapeut in einem Praxisnetz weiterhin selbstständig arbeiten, wobei gleichzeitig der Leistungsumfang vergrößert und mehr medizinischer Gestaltungsfreiraum möglich wird. Dies sorgt nicht nur für effizientere, kosteneinsparende Arbeitsprozesse, da bspw. Doppeluntersuchungen verhindert werden können, sondern auch für eine klar abgestimmte Patientensteuerung. Ähnlich wie bei einer Zweigpraxis, führt das größere Leistungsangebot des Praxisverbunds auch zu einer besseren Marktposition gegenüber anderen ärztlichen Leistungserbringern, zumal sich auch der individuelle Patientenstamm vergrößert.

Als Nachteile angesehen werden können der große Aufwand bei Planung und Beratung zur Praxisnetz-Gründung. Die sorgfältige Organisation nimmt viel Zeit in Anspruch.

Rechtliches

Die rechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit in einem Praxisnetz ist in der Musterberufsordnung-Ärzte (MBO-Ä) in § 23d wiederzufinden. Die Rechtslage zur Anerkennung und Förderung von Arztnetzen ist in SGB V §87b niedergeschrieben.

Prinzipiell ist es jedem Arzt gestattet, einem Praxisnetz beizutreten. Kann der Versorgungsauftrag aufgrund von bestimmten räumlichen oder qualitativen Kriterien voraussichtlich nicht erfüllt werden, dann droht jedoch eine Ablehnung gemäß MBO-Ä.

Zwar ist die Zusammenarbeit im Arztnetz zwischen Ärzten und anderen Heilberufsangehörigen erlaubt, jedoch nur, wenn die diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen der Heilbehandlung, der Prävention oder Rehabilitation dienlich sind. Die Grundsätze der ärztlichen Entscheidungsunabhängigkeit oder der freien Arztauswahl müssen jedoch gewahrt bleiben. Bei aller Kooperation müssen auch Grenzen eingehalten werden - Korruption im Gesundheitswesen ist ein Straftatbestand (§ 299 und § 300 StGB)!

Ein schriftlicher Vertrag zu den Bedingungen der Zusammenarbeit im Praxisnetz ist notwendig und muss der Ärztekammer vorgelegt werden. Diese Vorlegung dient als Voraussetzung und zeitlicher Nachweis (mind. 3 Jahre) für die spätere Anerkennung durch die KV.

Zulässige Rechtsformen eines Praxisverbunds: Personengesellschaft, eingetragene Genossenschaft, eingetragener Verein oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschaftsvertrag sollte folgende Elemente beinhalten: Ziele der Gesellschaft, Kriterien für die Aufnahme von Netzmitgliedern, Regeln der Zusammenarbeit, Gremienstruktur.

Ergänzende selektivvertragliche Vereinbarungen zur besonderen Versorgung mit Krankenkassen können gemäß § 140a SGB V unabhängig vom Annerkungsstatus des Praxisnetzes getroffen werden. Bis Juli 2015 galt noch § 73a SGB V, alle bereits geschlossenen Strukturverträge gelten aber fort. Mit Strukturverträgen können bspw. Vereinbarungen zu differenzierten Honorierungssystemen, die auch durch Vergütungspauschalen oder Bonus-Malus-Regelungen ergänzt werden können, getroffen werden. Die Vergütungsanteile für Strukturverträge sind Bestandteil der Gesamtvergütung und dürfen nur zugunsten der teilnehmenden Ärzte genutzt werden. Die Teilnahme der Ärzte und Versicherten ist freiwillig. Alternativ sind auch Modellvorhaben nach § 63 SGB V zur Weiterentwicklung der Versorgung, welche nach spätestens 8 Jahren evaluiert werden und müssen wissenschaftlich begleitet werden. Eine Einschreibung in das Versorgungsprogramm ist notwendig, um von diesen Verträgen zu profitieren.

Das Verbot für unerlaubt Zuweisung gilt auch in einem Praxisnetz. Eine nicht hinreichend begründete Zuweisung eines Patienten an einen anderen Arzt oder anderen Heilberufsangehörigen ist untersagt. Ebenso wenig dürfen für eine Zuweisung im Gegenzug finanzielle Mittel fließen oder andere Vorteile gegeben/angenommen werden.

Praxisnetze dürfen auch MVZ gründen. Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) nahm im Mai 2019 “anerkannte Praxisnetze” mit in den MVZ-Gründerkreis gemäß § 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V mit auf.

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