Die neue EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) für Deutschland

29. Juni 2021

Inhaltsverzeichnis

Die Veröffentlichung der neuen Medizinprodukteverordnung MDR (auch MPV) sorgte für allerlei Diskussion. Aufgrund der vielen Änderungen und neuen Vorschriften ist es schwer, den Durchblick zu bewahren. Was sich genau geändert hat, welche Vor- und Nachteile es mit sich zieht und was genau die Änderungen für Sie bedeuten, können Sie hier nachlesen.

EU-Medizinprodukteverordnung (kurz MDR für Medical Device Regulation)
EU-Medizinprodukteverordnung (kurz MDR für Medical Device Regulation)

Die neue Medizinprodukteverordnung - was ist das?

Die neue Medizinprodukteverordnung EU MDR 2017/745 (MDR, Medical Device Regulation), wurde am 5 Mai 2017 veröffentlicht und trat am 25 Mai 2017 in Kraft. Die MDR löst die bislang gültige Medizinprodukterichtlinie MDD 93/42 EWG (MDD, Medical Device Directive) ab und regelt einheitliche Anforderungen für die Markteinführung, die Inbetriebnahme sowie die Anwendung von in der EU hergestellten Medizinprodukten, darunter also auch Medizingeräte. Die neue MDR soll der Patienten-Sicherheit zugute kommen, indem Hersteller die Qualität, die Leistung und die Sicherheit für die von ihnen auf den Markt gebrachten Medizinprodukte gewährleisten müssen. Ist dies nicht der Fall, haften sie dafür.

Frist der Medizinprodukte-Verordnung 2020

Um die neuen Anforderungen zu erfüllen, wurde eine Übergangszeit von 3 Jahren für Hersteller von bereits zugelassenen Medizinprodukten eingerichtet. Diese Übergangszeit lief am 25.05.2020 ab, wurde aber aufgrund der Corona-Pandemie und die damit verbundenen Herausforderungen der Mitgliedstaaten, Gesundheitseinrichtungen und der Wirtschaft auf den 26. Mai 2021 verschoben. Durch das Verschieben wurden Engpässe an Medizinprodukten vermieden und die vollständige Versorgung von Patienten gewährleistet.

 

Es gibt einige Ausnahmen, für die längere Übergangsfristen gelten. So sind z. B. alle EG Zertifikate die vor dem 25.05. 2017 ausgestellt wurden solange gültig, wie es auf dem EG Zertifikat angegeben ist.

Für ältere Medizinprodukte, die bereits in Kliniken und anderen Einrichtungen im Einsatz sind und den neuen Anforderungen nicht gerecht werden, gibt es bereits neue Unternehmen die mit neuen Verfahren eine nachträgliche Etikettierung/Kodierung der Produkte ermöglichen. Allerdings ist hier eine gut durchdachte und langfristige Planung nötig, da die Arbeitsabläufe der Kliniken und Einrichtungen nicht gestört werden dürfen.

Das Aufkommen der neuen Medizinprodukteverordnung war eine Folge mehrerer Skandale in der Medizintechnik. Insbesondere der Skandal um das französische Unternehmen Poly Implant Prothese (PIP), bei dem rund 400.000 betroffene Personen aus 65 verschiedenen Ländern durch gerissene oder undicht Implantate zu Schaden gekommen sind, trug einen großen Anteil daran.

Änderungen der Medizinprodukteverordnung - was ist neu?

Die neue Medizinprodukteverordnung ist deutlich umfangreicher als die alte Medizinprodukterichtlinie. Bestand die MDD noch aus 65 Seiten, so sind es bei der MDR 566.

Im Unterschied zur bisher gültigen MDD richtet sich die MDR nicht an die politischen Institutionen der europäischen Länder, sondern direkt an die Hersteller*.

Im Folgenden haben wir für Sie die 5 wichtigsten Änderungen aufgelistet :

  1. Erweiterung des Geltungsbereichs:

    Die Definition des Begriffes „Medizinprodukt“ wurde erweitert. Das heißt, dass neuerdings Produkte die vorher nicht in die Kategorie Medizinprodukt gefallen sind nun als solches gelten. Darunter fallen beispielsweise jetzt auch Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung (farbige Kontaktlinsen, Implantate und Stoffe für ästhetische Zwecke). Die genauen Regeln zur Klassifizierung finden Sie in Anhang VIII des MDR.

    1. Erweiterte Pflichten des Herstellers:
      • „Qualifizierte Person“: Jeder Hersteller muss eine Person benennen, die für die Einhaltung der neuen Anforderungen verantwortlich ist. Es ist erforderlich, dass diese verantwortliche Person über bestimmtes Fachwissen auf dem Gebiet der Medizinprodukte verfügt, entweder in Form einer formellen Qualifikation, sprich durch einen Abschluss eines Hochschulstudiums in Recht, Medizin, Pharmazie, Ingenieurwesen oder einem anderen relevanten wissenschaftlichen Fachbereich. Dazu ist ein Jahr Berufserfahrung im Bereich Regulierungsfragen oder Qualitätsmanagement im Zusammenhang mit Medizinprodukten erforderlich. Alternativ zum Hochschulstudium sind 4 Jahre Berufserfahrung in Regulierungsfragen oder Qualitätsmanagement im Zusammenhang mit Medizinprodukten nötig. Die verantwortliche Person ist ab Ernennung insbesondere zuständig für die korrekte technische Dokumentation, die Übereinstimmung mit dem QM-System sowie auch für die Verpflichtungen die im Zusammenhang mit der Überwachung nach dem Inverkehrbringen anfallen.
      • Qualitätsmanagement: Auch nach dem Inverkehrbringen der Medizinprodukte sind die benannten Stellen dazu verpflichtet, diese genauer zu überwachen. Dies soll durch unangekündigte Audits sowie Stichproben- und Produktprüfungen passieren. Hersteller von bestimmten Produktgruppen müssen jährliche Berichte über die Sicherheit und Leistung der Produkte vorlegen. Alle Medizinprodukte die auf den Markt gebracht werden, brauchen eine CE-Kennzeichnung. Umso höher die Risikoklasse, desto mehr Anforderungen muss ein Produkt erfüllen um ein CE-Kennzeichen zu bekommen. Bei Medizinprodukten der Klasse I können die Hersteller die Konformitätsbewertung selbstständig durchführen. Bei den Klassen II und III müssen die CE-Kennzeichnungen von einer bestimmten Stelle (Notified Bodies) genehmigt werden
    2. UDI (Unique Device Identification): Jedes Medizinprodukt ist einzeln mit einer einmaligen Nummer gekennzeichnet - der UDI. Dabei werden diese in die UDI-DI (Device Identifier) und UDI-PI (Product Identifier) unterschieden. Der Device Identifier gibt dabei Aufschluss über die allgemeine Modellreihe, während der Product Identifier individuell für jedes Produkt der Modellreihe erstellt wird. Diese UDIs werden in Zukunft von einer bestimmten Stelle vergeben. Da bislang noch keine benannten Stellen nominiert wurden, übernehmen vorerst die GS1, HIBCC und ICCBBA diese Aufgabe. Die UDI muss von den Herstellern am Gerät/Produkt angebracht werden und wird von der EU in die EUDAMED-Datenbank (Europäische Datenbank für Medizinprodukte) übertragen. Das gewährleistet eine weltweite Rückverfolgbarkeit der Produkte und stellt sicher, dass die Öffentlichkeit angemessen über die in den Verkehr gebrachten Produkte informiert ist.
    3. Neuklassifizierung: Durch die Änderung der Klassifizierungsregeln kann es sein, dass Produkte die vorher in Klasse I waren, jetzt in Klasse II oder III springen oder auch Produkte von Klasse II in Klasse III. Das ein Produkt von einer höheren Klasse in eine niedrigere springt ist eher unwahrscheinlich. Umso höher die Risikoklasse ist, desto mehr Anforderungen muss ein Medizinprodukt erfüllen.
    4. Bevollmächtigte: Hersteller die nicht in einem EU-Mitgliedstaat niedergelassen sind, müssen einen Bevollmächtigten benennen. Dies ist eine in der Europäischen Union niedergelassene natürliche oder juristische Person, die im Namen des Herstellers bestimmte Aufgaben erfüllt. Zu den Aufgaben gehören z. B.
      • Überprüfung der EU-Konformitätserklärung sowie der technischen Dokumentation
      • Bereithaltung einer Kopie sämtlicher Unterlagen und diese den Behörden auf Ersuchen zur Verfügung stellen
      • Überprüfung der Informationsregistrierung in der EUDAMED

Wird den Verpflichtungen aus den Verordnungen nicht nachgekommen, so haftet der Bevollmächtigte zusammen mit dem Hersteller.

*Hersteller = Wirtschaftsakteuren = Hersteller, Händler, Importeure, bevollmächtigte Vertreter (vertreten Hersteller innerhalb der europäischen Union wo der Hersteller außerhalb der europäischen Union sitzt). Jeder der am Wertschöpfungsprozess eines Medizinproduktes beteiligt ist.

Auswirkungen der Medizinprodukteverordnung auf die Branche

Die Einführung der neuen Medizinprodukteverordnung wird größtenteils negative Auswirkungen auf die Medizintechnik-Branche haben:

Hoher Kosten- und Zeitaufwand

Es wird in Zukunft schwerer Medizinprodukte auf den Markt zu bringen. Durch die neuen Verordnungen ist mit mehr Aufwand an Zeit, Kosten und Mitarbeitern zu rechnen. Auch der Arbeitsaufwand wird durch das neue Produktnummernsystem steigen. Folglich wird die Produktvielfalt sinken, da Hersteller nicht die Möglichkeit haben, schnell auf neue Entwicklungen zu reagieren. Dazu kommt, dass viele Hersteller ihr bisheriges Sortiment verkleinern sowie die Produktion von weniger populären Produkten einstellen bzw. keine Neuzulassung beantragen wollen. Es wird augenblicklich angenommen, dass 20 bis 30 Prozent der Produkte vom Markt verschwinden werden. Auf lange Sicht führt das zu einer Gefährdung der Patientenversorgung.

Innovative Entwicklung rückt an zweite Stelle

Die Erfüllung der neuen Anforderungen ist mit einem deutlich höheren Zeitaufwand verbunden, was gerade in der heutigen Zeit ein Nachteil für die Patienten sein kann. Durch die schnelle technische Entwicklung und die fortschreitende Digitalisierung wird es immer wichtiger auf diese auch schnell reagieren zu können, um die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten. Durch den hohen Aufwand wird es schwer, innovative Lösungen zu verfolgen.

Verzögerung von Produkteinführungen

Es gibt bisher nur wenige benannte Stellen. Durch den Engpass an sogenannten Stellen, sowie das aufwendige Scrutiny-Verfahren (Konsultationsverfahren) entstehen längere Wartezeiten der notwendigen Zertifizierung, Verzögerungen von Produkteinführungen sowie Wettbewerbsnachteile durch spätere Markteintritte.

Überforderung der KMUs

Da es mit hohen Kosten verbunden ist, die neuen Anforderungen der Medizinprodukteverordnung umzusetzen, entsteht gerade für kleine und mittelständige Unternehmen ein Wettbewerbsnachteil. Es ist für sie wesentlich schwerer den neuen Anforderungen gerecht zu werden und sich auf dem Markt zu etablieren. Im schlimmsten Fall droht einigen Unternehmen sogar die Insolvenz.

Die europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) für Dentallabore

Für Dentallabore, Praxislabore und kieferorthopädische Praxen wird sich infolge der Medizinprodukteverordnung ebenfalls einiges ändern, denn hergestellte Werkstücke zählen jetzt als Medizinprodukt. Alle Hersteller sind zur genaueren Dokumentation (Dokumentationspflicht 15 Jahre), einer lückenlosen Rückverfolgung der hergestellten Produkte sowie zu einem ausführlichen Risikomanagement verpflichtet. Auch hier werden jährliche und unangekündigte Überwachungsaudits zur Qualitätsüberprüfung durchgeführt. Die Kosten der Audits müssen die besuchten Labore selbstständig tragen. Durch die große finanzielle Belastung der einzelnen Audits, kann es zur Produkteliminierung oder auch zu Preiserhöhungen bestimmter Produkte kommen. Eine weitere Neuerung ist die Beurteilung aller Produkte die Nanomaterialien enthalten. Diese soll Aufschluss darüber geben, wie der menschliche Körper auf die enthaltenen Stoffe reagiert und wie wahrscheinlich dauerhafte Schäden sind. Zahnmediziner die in ihrer Praxis Zahnersatz mit dem Chairside-Verfahren aus CAD/CAM- herstellen, gelten neuerdings ebenfalls als Hersteller.

Auswirkungen der Medizinprodukteverordnung auf Apotheken

Hauptveränderungen für Händler und Apotheken sind laut der neuen Medizinprodukteverordnung unter anderem die neuen Melde- und Dokumentationspflichten, das Führen eines Registers über nicht konforme Medizinprodukte, Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit der Medizinprodukte, sowie deren stichprobenhafte Kontrolle.

Einen großen Effekt wird die Veränderung der Definition „Vorkommnis“ haben. Derzeit zählt ein schwieriges Ereignis oder eine Fehlfunktion, die für einen Patienten lebensgefährlich sein kann oder ein Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellen könnte unter den Begriff “Vorkommnis”. In Zukunft zählen alle unerwünschten Wirkungen beim Patienten sowie jegliche Mängel und Funktionen des Medizinproduktes dazu (z. B. auch fehlerhafte Gebrauchsanweisungen). Durch die Erweiterung der Definition, wird zukünftig die Anzahl der Vorkommnismeldungen der Apotheken an die Hersteller und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte deutlich steigen.

Auswirkungen der MDR auf medizinische Software

Auch Software, die zum spezifischen medizinischen Zweck der Vorhersage und Prognose von Krankheiten dient, fällt in die Kategorie Medizinprodukt. Aufgrund der neuen Software-Klassifizierungsregel wird fast jede medizinische Software in eine höhere Risikogruppe eingestuft.

Zur Klasse IIa gehört:

  • Software, die Informationen zur Entscheidung für diagnostische oder therapeutische Zwecke liefert, es sei denn, durch die Entscheidungen können folgende Auswirkungen verursacht werden:
    • den Tod oder eine irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person; in diesem Fall wird sie der Klasse III zugeordnet, oder
    • eine schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person oder einen chirurgischen Eingriff; in diesem Fall wird sie der Klasse IIb zugeordnet.
  • Software, die zur Kontrolle von physiologischen Prozessen bestimmt ist, es sei denn, sie ist für die Kontrolle von vitalen physiologischen Parametern bestimmt, welche bei einer Änderung der Parameter unmittelbar zu einer Gefahr für den Patienten führen kann, dann wird sie der Klasse IIb zugeordnet.

Trifft keines der Kriterien zu, wird die Software der Klasse I zugeordnet.

Die folgenden Software-Lösungen bilden die Ausnahmen und zählen nicht als Medizinprodukt:

  • ERP (Enterprise Resourcing Planning)/Praxismanagementsoftware, die nur die Papierakten ersetzen
  • PACS (Picture Archiving and Communication System), das nur Bilder anzeigt und speichert
  • PACS, das nur Informationen über weitere Behandlungen wie Strahlentherapie, Bildmanipulation oder eine Funktion zum Bildvergleich zur Bestimmung des Krankheitsverlaufs ermöglicht
  • Software für Lifestyle- und Wellness Zwecke

Vorteile der neuen MDR

Die neue Medizinprodukteverordnung bringt auch Vorteile mit sich, denn sie bietet nicht nur die Gelegenheit, das Produktportfolio zu überprüfen und Randprodukte zu entfernen, sondern sie fördert durch einheitliche Anforderungen innerhalb der EU vor allem die Sicherheit rund um Medizinprodukte. Die MDR stellt den Patienten in den Vordergrund und sorgt durch mehr Vorschriften sowie strenge Kontrollen für mehr Schutz. Durch Erhöhung der Transparenz und die bessere Nachverfolgbarkeit und Identifizierung von Mängeln bei Produkten, können diese schnell aus dem Verkehr gezogen werden, um so schlimmeres zu verhindern.

Frist verpasst: Welche Konsequenzen drohen mir als Hersteller?

Wenn Sie als Hersteller die Frist verpassen und bis zum 26. Mai 2021 nicht allen Anforderungen gerecht werden, droht Ihnen im schlimmsten Fall ein behördliches Verbot, medizinische Produkte zu verkaufen und zu vermarkten.

Benannte Stellen gemäß MDR

Benannte Stellen, wie z. B. der TÜV oder Konformitätsbewertungsstellen, überprüfen bei Einführung eines Medizinproduktes in die EU, ob die Anforderungen des Produktes den Verordnungen entsprechen. Aufgrund der Änderungen verlieren alle europäischen benannten Stellen mit Beginn der neuen Medizinprodukteverordnung ihre Wirksamkeit und müssen erst neu benannt werden. Durch die Neubenennung verantwortlicher Organisationen entsteht ein Mangel an benannten Stellen, welcher wiederum zu langen Wartezeiten und höheren Preisen führt. Zusätzlich werden die benannten Stellen in Zukunft mit mehr Auslastung rechnen müssen, was die Wartezeit ebenfalls in die Höhe treibt, da durch den neuen Geltungsbereich viele Produkte eine Risikogruppe höher eingestuft werden. Neuerdings müssen diese dann also auch noch geprüft werden. Listen aller europäischen Benannten Stellen finden Sie unter in der NANDO Datenbank (New Approach Notified and Designated Organisations).

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